Habakuks Sorge und Gottes Werk
Dieser Artikel ist erschienen in der Zeitschrift “Die Gemeinde” 14/2022
Habakuk ist in Sorge. Er beobachtet das politische Geschehen im Südreich Juda und betrachtet die Zukunft des Landes nach dem Regierungswechsel mit Skepsis. Zuvor herrschte Josia über Juda. Er führte umfassende Reformen durch: er verpflichtete das Volk auf das Gesetz ihres Gottes, er ließ den Tempel renovieren, zerstörte Götzenbilder und gab Jerusalem seine zentrale Bedeutung als geistlichen Mittelpunkt des Landes zurück. Zum Unglück des Königs und zur Sorge des Propheten wurde Josia im Kampf gegen des nahende Volk Ägypten getötet. Josias Sohn Jojakim wird Thronfolger. Unter ihm blieb Juda tributpflichtig und dem Volk wurden immense Abgaben auferlegt.
Vor dieser Situation entfaltet sich das Buch Habakuk in drei Kapiteln. Kapitel 1 ist geprägt von Habakuks Sorge angesichts der politischen Lage, besonders der Gewalt und Repression, die sie für das Volk bedeutet. Schon so oft hat Habakuk zu Gott gerufen, so sehr um sein Eingreifen gefleht. Gottes Recht und Gesetz scheint bedeutungslos, die Unschuldigen tragen das meiste Leid. Gottes Antwort an Habakuk fällt unerwartet aus: Gott schickt die Babylonier, die als Konsequenz der Gottvergessenheit Judas über das Land herfallen, alles vernichten und weiterziehen werden. Habakuk ist entsetzt. Wie kann Gott, der das Recht liebt, einen derartigen Gewaltakt gutheißen, ja ihn sogar in Gang setzen? Soll Babylon mit seinem Treiben ungeschoren davonkommen, das Land entweihen und dafür noch ihre Götter preisen?
In Kapitel 2 bezieht Habakuk auf seinem Posten Stellung und wartet auf Gottes Antwort. Seine Haltung ist beeindruckend: „Ich warte begierig, was [der Herr] auf meine Fragen und Anklagen antworten wird.“ (2,1b). Und so geschieht es auch: Gott antwortet und setzt damit Habakuk zum Propheten über das Volk ein. Gottes Botschaft an das Volk lautet: „Wer mir treu bleibt und das Richtige tut, der wird leben“ (2,4b). Die Untreue der Könige hat Juda in dieses Elend geführt, doch die Treue gegenüber Gott wird schlussendlich dafür sorgen, dass das Volk bestehen bleibt. Die gewalttätigen Babylonier werden dagegen von Gott bestraft. So wie Juda das Gericht Gottes fürchten muss, so wird Babylon wegen seiner Brutalität das Gericht Gottes erfahren. Das Kapitel schließt mit der Erinnerung daran, dass der wahre Gott im Tempel Jerusalems zu finden ist und dort kein Geschrei und keine Gewalt, sondern Stille und Ehrfurcht angebracht sind.
In Kapitel 3 kommt wieder Habakuk zu Wort, dieses Mal mit einem Psalm. Er besingt Gottes Ruhmestaten und beschreibt seine Herrlichkeit. Wenn er in das Weltgeschehen eingreift, ist sein Auftreten derart beängstigend, dass es in diesem Moment jeden treffen könnte. Es wird aber auch klar: Gott streitet für sein Volk. Wehe dem, der Anspruch auf Gottes Volk erhebt, es nimmt kein gutes Ende mit ihm. Habakuk schließt sein Gebet mit der Formulierung seiner Gefühle, die er im Geschehen der vorangegangenen Kapitel erlebt hat. Er hat sich gefürchtet, er war entsetzt, aber nun hat er Hoffnung auf Gottes Eingreifen, das letztendlich die ersehnte Gerechtigkeit bringen wird.
Das Buch Habakuk ist meiner Ansicht nach ein schnell übersehbares Juwel. Zunächst einmal wird deutlich, dass sich Habakuk Sorgen macht und diese Sorge an Gott adressiert. Er hat schon viele Male geklagt. Ihm ist wichtig, dass Gottes Gerechtigkeit zum Maßstab in Juda wird. Ihm ist allerdings auch die eigene Machtlosigkeit bewusst. Dieses große Unterfangen, dass Gottes Gerechtigkeit Einzug hält, kann nur von Gott allein umsetzt werden. Was wird Gott also tun? Allein diese Frage sehe ich als Anzeichen eines gesunden Selbstbewusstseins gegenüber Gott. Eine ähnliche Situation hat sich einmal in einem Gottesdienst ergeben, den ich leiten durfte. In der Gebetsgemeinschaft formulierte ein Gast klar und offen seine Enttäuschung gegenüber Gottes Passivität angesichts des Weltgeschehens. Ich habe mich über das umstrittene Gebet gefreut. Nicht, weil ich inhaltlich zugestimmt hätte, sondern, weil hier offen und selbstbewusst die eigene Ohnmacht formuliert und Gott an seine Verantwortung „erinnert“ wurde. Ich wünsche mir für unseren Glauben Habakuks Selbstbewusstsein, das sogar Gottes Entscheidungen hinterfragt und das dazu führt, dass wir geradezu trotzig Gottes Antwort abwarten. Das Buch Habakuk ist ein beeindruckendes Zeugnis für eine gesunde Beziehung zwischen Gott und Mensch, die manchen Disput anspricht und aushält. Das wird nicht nur am Anfang des Buches deutlich, sondern auch an dessen Ende, wenn Habakuk offen seine Gefühle zum Ausdruck bringt.
Zudem wird bei Habakuk deutlich, dass für manche Anliegen Gott zuständig ist. Er allein kann die Situation im Land adäquat bewerten und angemessen handeln. Doch es ist nicht damit getan, nun die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten. Zur richtigen Zeit bekommt Habakuk von Gott einen Auftrag: „Das, was ich dir nun sage, sollst du aufschreiben und es öffentlich bekanntmachen“ (2,2). Die Aufgabe ist überschaubar, doch nun hat der Prophet zu handeln. Von Habakuk lerne ich, nicht nur offen und ehrlich gegenüber Gott zu sein und seine Antwort zu erwarten, sondern auch, selbst Verantwortung zu übernehmen, sobald sie gefragt ist. Nicht zuletzt möchte ich Gottes Zusagen vertrauen, will auf sie warten, auch entgegen meiner Erfahrung und meiner Skepsis. Nicht blind oder leichtgläubig, aber voller Zuversicht, dass Gott die Treue, die er von uns verlangt, selbst an den Tag legt. Darin werde ich immer wieder herausgefordert. Darin möchte ich weiter wachsen und wünsche uns allen, darin die nötige Geduld und Übung zu finden.